Skip to main content

Andacht

.

Foto: © Klaus Steinike

Pfarrer Ulrich Kastner

Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind, 

seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, 

sondern sie ist alle Morgen neu, 

und deine Treue ist groß.                                                     Klagelieder 3, 22f.

 

Liebe Gemeinde, 

kennen Sie den Begriff der „Jeremiaden“? Meist bezeichnet man damit - nicht ganz ernst gemeint - Klagen oder Schilderungen von Schwierigkeiten. Aber woher kommt der Begriff, wenn nicht vom Propheten Jeremia, dem man auch zahlreiche Klagen – sogenannte Klagelieder - zuschrieb. Ganz falsch wird man damit nicht liegen. Denn der Prophet Jeremia hat das große Buch der Prophezeiungen hinterlassen, das nach ihm benannt ist. Er lebte jedoch in einer Zeit, in der das Nordreich Israels unterging. Er selbst, der Prophet, wurde von den siegreichen Assyrern verschleppt und seine Spur verliert sich in der Gefangenschaft. Insofern hätte er durchaus allen Grund gehabt, sein Los zu beklagen. Dass die Klagelieder des Alten Testamentes ebenso dem Propheten Jeremia zugeschrieben werden, muss uns daher nicht wundern. Da wären sie, die „Jeremiaden“, die Klagelieder des Propheten Jeremia. Lesen wir aber den Vers aus einem der Klagelieder, dann klingt er alles andere als verzweifelt. Vielmehr beginnt er hoffnungsvoll und dankbar und mündet schließlich in den Jubel über Gottes Treue. Und das geschieht fast unmerklich. Man muss gut hinschauen, damit man nicht verpasst, wie der Beter seine Perspektive wendet – und schließlich Gott direkt anspricht. Anstatt zu klagen, preist der Beter oder die Beterin die Güte Gottes. Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind. So beginnt der Vers. Und es ist nicht klar, zu wem hier gesprochen wird. Ist es der Beter selbst, der im Gebet über Gott nachdenkt? Oder spricht er zu einer Gruppe von Mitbetenden, vor denen er Gott rühmt? Jedenfalls sind es mehrere, die angesprochen sind: WIR sind noch nicht gar aus – das ist die Güte Gottes! Dass sie Leben haben, verdanken sie Gott, der es gut mit ihnen meint. Aber er lässt sie nicht nur am Leben, sondern er wendet sich ihnen in einer herzlichen Weise zu: Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende! Gott erbarmt sich, hört sie an, begegnet ihnen herzlich. Und seine Güte ist jeden Morgen neu! Auch das bekennt und preist der Beter vor den anderen. Aber dann passiert es: Plötzlich sind es nicht mehr die anderen, vor denen Gott gelobt und gepriesen wird, sondern unvermittelt wird Gott selbst angesprochen: DEINE Treue ist groß! Das sagt der Beter zu Gott! Da begegnen sich Gott und der Gläubige direkt. Und Gott wird nicht nur für seine Treue gefeiert, sondern in der direkten Anrede wird deutlich: Gott ist ja schon da! Er ist nicht weit weg über den Wolken, sondern hier, wo gebetet wird. Im Psalm 22, der wieder am Karfreitag zur Sterbestunde Jesu wichtig wird, heißt es: Du, Gott, thronst auf den Lobgesängen. Und darin offenbart sich Gottes Güte und Treue, seine Barmherzigkeit in einer ganz neuen Weise – man kann nicht nur darüber sprechen, sondern auch ihn selbst erfahren. Sprechen wir von oder über Gott – oder sprechen wir mit Gott? Gott ist da! Und nicht nur irgendwo, sondern hier, bei mir! Das lässt uns ruhig werden, gerade IN der Not, gerade in der schweren Situation. Und so wird dieses Klagelied verwandelt in einen Lobpreis der Güte und Gegenwart Gottes. Denn Gott begegnet uns gütig und barmherzig und treu. Gott sei Dank! 

Ihr Pfarrer Ulrich Kastner    

 

 

 

Monatsspruch Oktober 2024

Freie Verwendung des Motives für alle Medien unter Angabe des folgenden Vermerks: Text: Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart - Grafik: © GemeindebriefDruckerei

 

 

 

.

Nach oben